Die heutige Zeitreise führt uns ins Jahr 1955 und zum Mercedes-Benz 190 SL, der heute zu den begehrtesten Cabrios der damaligen Zeit zählt.
Die frühen 1950er-Jahre waren eine Zeit des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und wachsenden Optimismus in Westdeutschland.
Aus der rauchenden Nachkriegszeit entwickelte sich eine neue Gesellschaftsschicht: wohlhabender, weltoffener – und auf der Suche nach Symbolen für Mobilität und Lebensqualität.
In diese Welt hinein fuhr 1955 ein Fahrzeug, das nicht nur mit dem Stern glänzte, sondern auch das Lebensgefühl einer ganzen Generation spiegelte: der Mercedes-Benz 190 SL der Baureihe W 121.
Entwicklung mit Vision
Die Idee zum 190 SL entstand 1953 unter der Leitung von Fritz Nallinger, Entwicklungschef bei Daimler-Benz. Ziel war es, ein sportlich-elegantes Cabriolet mit der äußeren Anmutung des prestigeträchtigen 300 SL „Gullwing“ (W 198) zu schaffen, aber mit weniger technischer Komplexität und einem deutlich günstigeren Preis – gewissermaßen ein „SL für Genießer“ statt für Rennfahrer.
Der erste Prototyp wurde bereits 1954 auf der New York International Auto Show präsentiert – zeitgleich mit dem 300 SL. Die Reaktionen waren begeistert. Noch im selben Jahr begann die Serienvorbereitung.
Karosserie und Design des Mercedes-Benz 190 SL
Der 190 SL wurde auf einer verkürzten Ponton-Limousinen-Plattform der Baureihe W 121 entwickelt. Technisch gesehen war er also kein Ableger des 300 SL, sondern eher eine elegante Ableitung der Mittelklasse-Architektur. Doch optisch näherte sich der Wagen stark an den berühmten Flügeltürer an – mit lang gestreckter Motorhaube, niedriger Gürtellinie und flacher Windschutzscheibe.
Er war als zweisitziger Roadster mit Stoffverdeck erhältlich, alternativ mit einem abnehmbaren Hardtop.
Sein elegantes Erscheinungsbild, die sanften Rundungen und das minimalistische, aber stilvolle Interieur machten ihn zu einem Fahrzeug für Genussfahrer mit Anspruch – kosmopolitisch, aber nicht protzig.
Technik unter dem Blech
Angetrieben wurde der 190 SL von einem 1,9-Liter-Vierzylinder-Reihenmotor (Typ M 121 B II) mit obenliegender Nockenwelle. Der Motor leistete 105 PS (77 kW) bei 5.700 U/min – durchaus sportlich für seine Zeit, aber deutlich weniger radikal als der 300 SL mit seinem Einspritz-Sechszylinder.
Die Kraftübertragung erfolgte über ein 4-Gang-Schaltgetriebe, das direkt an der Bodengruppe montiert war. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h gelang in etwa 13 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 170 km/h – respektabel, wenn man das Leergewicht von rund 1.140 kg berücksichtigt.
Das Fahrwerk entsprach im Wesentlichen dem der Ponton-Limousine, mit Einzelradaufhängung vorne, Pendelhinterachse hinten und Trommelbremsen an allen vier Rädern – erst 1961 erhielten einzelne Exportmodelle Scheibenbremsen an der Vorderachse.
Innenraum und Ausstattung
Der Innenraum war schlicht, aber edel: ein mit Leder bezogenes Armaturenbrett, große Rundinstrumente in Chromfassungen, ein großer Weißwand-Lenkradkranz und optional ein Becker-Radio – das Lebensgefühl der 1950er im besten Sinne.
Die Sitze waren niedrig positioniert und sorgten für ein sportliches Fahrgefühl, das sich vor allem bei offenen Ausfahrten auf Landstraßen entfalten konnte. Eine Heizung war serienmäßig, Sicherheitsgurte dagegen noch nicht verfügbar – sie wurden erst in den 1960ern eingeführt.
Preis und Marktposition
Bei seiner Markteinführung 1955 lag der Preis für den 190 SL bei 16.500 DM – deutlich günstiger als der 300 SL (über 29.000 DM), aber immer noch ein exklusives Vergnügen. Er konkurrierte mit Fahrzeugen wie dem Porsche 356, richtete sich aber weniger an Sportwagenpuristen, sondern an eleganzbewusste Käufer, darunter Unternehmer, Schauspielerinnen und Geschäftsleute.
Die Produktion lief von Mai 1955 bis Februar 1963. Insgesamt wurden 25.881 Exemplare gefertigt – davon die meisten in Exportversionen, insbesondere für die USA, die rund 40 % der Stückzahl aufnahmen.
Der 190 SL heute
Heute gilt der 190 SL als eine der schönsten Nachkriegsikonen von Mercedes-Benz. Er ist technisch weniger aufwendig als der 300 SL, aber viel alltagstauglicher, günstiger im Unterhalt – und stilistisch kaum weniger elegant.
Originale, gut erhaltene Exemplare oder sorgsam restaurierte Fahrzeuge erzielen auf dem Markt heute Preise zwischen 120.000 und 200.000 Euro – je nach Zustand, Historie und Ausführung.
Unser Fotomodell ist beim Jüly Oldie Point (www.oldie-point.at) deutlich günstiger zu erwerben, es bedarf aber noch viel Zuwendung. Das Fahrzeug kann als „Scheunenfund“ bezeichnet werden.
Das letzte Pickerl stammt aus dem Jahr 1983, seither ist der Wagen gestanden und war sich selbst überlassen. Dennoch ist die Substanz sehr gut, und alle Teile, inklusive dem Becker-Radio, sind noch an Bord.
Beim Jüly Oldie Point finden sich derzeit auch fertig restaurierte 190 SL-Modelle, aber für das Fotoshooting haben wir bewusst dieses Restaurierungsobjekt gewählt. Es zeigt mit seiner Patina und dem unrestaurierten Auftritt noch seine ganz eigene Geschichte und hat so seinen völlig eigenen Charakter.
Fazit
Der Mercedes-Benz 190 SL ist kein reinrassiger Sportwagen – und wollte es auch nie sein. Er war von Anfang an ein Grand Tourer, ein stilvoller Reisebegleiter für Menschen, die das „Dolce Vita“ auf vier Rädern suchten. Mit seinem klaren Design, seiner kultivierten Technik und seiner Aura des Understatements steht er heute wie damals für automobile Eleganz der besonderen Art.